Premierenstimmung in der Volksbühne Michendorf

Ein ausverkauftes Haus. Die Luft ist erfüllt von der besonderen Mischung aus Nervosität (des Ensembles), Stress (des Intendanten/Regisseurs/Inhabers/Kartenverkäufers/Caterers und allgemein allzuständigen Problemlösers der letzten Minute Steffen Löser) und freudiger Erwartung des Publikums. Wie immer in der Volksbühne ist die Zeit bis zum Vorstellungsbeginn etwas Besonderes. Zwischen Rotwein, Sekt und (notgedrungen auch) alkoholfreien Getränken fühlt sich Michendorf plötzlich mondän.
Und warum auch nicht? Bringt die Volksbühne doch diesmal nichts weniger als „Nackte Tatsachen“ auf die Bühne, und, wie schon mehrfach zuvor, ist das beherrschende Kulissenstück ein Bett. Genauer gesagt, ist das, was da die Bühne beherrscht, die zweischläfrige Bettcouch im Wohnzimmer eines jungen Paares, das hipp ist oder sich dafür hält, bestehend aus einem jungen Mann namens Oliver (Sascha Kirschberger) und seiner Frau Emily (Saskia Crehl). Er verdient gut und sie betreibt eine Boutique.
Allerdings sind es nicht diese Beiden, die auf dieser Liegestatt eines Morgens erwachen. Oliver findet sich, zu seinem Entsetzen, mit seinem besten Freund Michael (Serkan Sahan) im Bett, mit Handschellen und Filmriss, aber ohne Klamotten und Schlüssel irgendwo in Reichweite. Ein Blick unter die lustig gelbe Bettdecke bestätigt den grässlichen Verdacht – sie sind beide nackt!

Hier liefert die Komödie von Kerry Renard zunächst den erwartbaren Slapstick. Die beiden laufen in verschiedene Richtungen (autsch!), sie hüllen sich in die Bettdecken (ach, die männliche Schamhaftigkeit, was wäre die Komödie ohne sie!) und sie beteuern einander gegenseitig wieder und wieder, dass sie ja nun noch nie, also wirklich noch NIE!, also aber auch wirklich gar nicht! dem jeweils Anderen gegenüber „solche“ Neigungen verspürt hätten. Sind sie doch Beide glücklich (?) verheiratet. Michael, der Arzt, mit Nicole (Stella Marleen Homann), aus Sicht ihres Mannes von Beruf „Heulsuse“.
Wie nicht anders zu erwarten, kommen die beiden Damen dazu, während die Männer (scheinbar?) mit Situation und Erinnerungslücke kämpfen. Was ist letzte Nacht passiert? Oder, besser, hoffentlich nicht passiert? Und warum?
Die zunächst offensichtliche Frage danach, wer den Beiden wie und warum Handschellen anlegte, entwickelt ab hier einige durchaus unvorhergesehene Beziehungen und Erklärungen sowie äußerst witzige Ausreden für verfängliche Situationen, die schließlich alle vier Partner bunt durcheinanderwirbeln, um am Ende dort zu landen, wo keiner der vier am „Komplott“ Beteiligten eigentlich hin wollte. Mehr sei nicht verraten.
Das erstmals an der Volksbühne Michendorf aufspielende Ensemble spielt mit Laune und Begeisterung, wenn auch in der ersten Hälfte mit den Fehlern, die Premieren auszeichnen: Es sitzen noch nicht alle Pointen, das Timing lässt zu wünschen übrig, das Publikum fühlt sich ersichtlich nicht immer abgeholt vom Geschehen auf der Bühne.
Nach der Pause aber hat sich das Quartett am Bett warm gespielt. Insbesondere Kirschbergers „Schnuten und andere Grimassen eines verzweifelten Mannes“, gespielt auf der Bettkante hockend, sind mehr als sehenswert. Spätestens ab jetzt ist man gepackt vom Schicksal der hin und her und überkreuz Liebenden und Streitenden auf der Bühne – und ihren Handschellen. Zumal Lösers Regie glücklich vermeidet, ins platt Schlüpfrige abzurutschen, was ein Risiko des Stückes hätte sein können.
Steffen Löser und seinem Ensemble ist einmal mehr eine Premiere geglückt und Jedem , der sie verpasst hat, kann man nur raten, sich Karten zu besorgen für diese vergnüglichen „Nackten Tatsachen“.
Andrea Daniel