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Glücksfall auf Schienen: Volksbühne Michendorf überrascht das Publikum

    Eine literaturbesessene Frau und ihr Lieblingsautor treffen sich zufällig in einem Zug-Abteil: In der Premiere des Zweipersonenstücks „Der Mann des Zufalls“ überraschte die für ihr Faible für das heitere Fach gerühmte Volksbühne Michendorf das Publikum.

    Die für ihren Faible für das heitere Fach gerühmte Volksbühne in Michendorf wagte am vergangenen Wochenende mit Yasmina Rezas Zugabteil-Kammerspiel „Der Mann des Zufalls“ einen Ausflug in das ernste Fach. Ob dies der Grund war, dass das die Premieren-Vorstellung am Freitagabend nicht ganz ausverkauft war, lässt sich nur spekulieren.

    Ungewöhnlich komfortable Sitzplätze

    Regisseur Steffen Löser und Bühnenbildner Martin Riedl kamen bei diesem Zweipersonenstück in die überaus seltene Lage, dass der zur Verfügung stehende Bühnenraum in Michendorf nicht wie üblicherweise zu klein, sondern zu groß war. Man löste das Problem, indem man die beiden ungewöhnlich komfortablen Sitzplätze in einem für die Bahn ganz untypisch großzügigem Abstand montierte und auch die Distanz zu den zwei angedeuteten Zugfenstern extrem streckte.

    Deko erinnert an alte TV-Raumschiffserien

    Der Verzicht auf das für den Schienenverkehr typische Zugabteilambiente hatte aber auch Vorteile. Die stark an alte TV- Raumschiffserien erinnernde Dekoration hob die beiden Überkreuzmonologe der in Gedanken redenden zwei Bahnreisenden auf eine durchgängig hörspieltaugliche geistige Ebene. Der gewählte optische Minimalismus setzte sich in der notgedrungen eingeschränkten Handlung fort und trotzdem kam zu keiner Zeit Langeweile auf.

    Zufällig mit Lieblingsautor in einem Abteil

    In der vom Zufall bestimmten Konstellation reisen dabei eine literaturbesessene Frau (Michaela Wrona) und ihr Lieblingsautor (Thomas Linz) von Paris nach Frankfurt am Main. Sie sitzen zwar nebeneinander, schweigen sich aber ausdauernd an und zergrübeln dabei im Stillen ihre jeweils reichlich vorhandenen Probleme. Die stumme Frau weiß zwar sehr genau, wer da neben ihr sitzt, lässt es sich jedoch nicht anmerken. Sie trägt den Erfolgsroman ihres Sitznachbarn mit dem vielsagenden Titel „Der Mann des Zufalls“ in ihrer Reisetasche, doch scheut sie sich lange Zeit, das Buch herauszuholen.

    Er ist ahnungslos

    Er dagegen ist vollständig ahnungslos und überlegt, weshalb die Unbekannte ebenfalls nach Frankfurt reist, ob sie eine Deutsche ist und wundert sich warum sie nicht liest, nicht einmal Modezeitschriften. Seit einiger Zeit steckt der erfolgreiche Autor voller Selbstzweifel und spielt insgeheim sogar mit dem Gedanken, seine Kariere als Schriftsteller zu beenden.

    Natürlich finden die beiden Kinder des Zufalls trotz ihrer gemeinsamen Schwäche, dem Unausgesprochenem zu viel Raum zu geben, am Schluss dann doch noch einen Ausweg aus ihrer doppelten Sprachlosigkeit.

    Nach der Pause mit Extrabeifall begrüßt

    Dass dieser mühsame Weg vom Publikum nicht als zu lang empfunden wurde, zeigte sich nach der Pause, als die beiden Protagonisten mit Extrabeifall begrüßt wurden. Wrona und Linz bewältigten ihre abwechselnd gesprochenen Monologe bewundernswert fehlerfrei und flüssig. Sichtlich bemüht, mit ausholenden Gesten und wechselnden Tempi dem Geschehen im Abteil Dramatik zu verleihen, wurde dabei allerdings der Geräuschpegel mitunter etwas zu vorschnell hochgeschraubt.

    Mitreißendes Plädoyer für die Literatur

    Sehr anrührend fiel der Moment der Überwindung der Sprachlosigkeit aus, als die überraschende Bitte um Fensteröffnung fast zu einer Schockstarre führte. Die bald darauf einsetzende Diskussion über den Sinn und Wert der vom Autor geschriebenen Bücher wurde zum mitreißenden Plädoyer für die Literatur ganz allgemein und steigerte sich zu einer verdeckten Liebeserklärung der Frau an ihren Mann des Zufalls. Diese bloße Aussicht auf ein mögliches Happyend speiste den langen Applaus des Publikums und ringsum war Erleichterung auf den Gesichtern abzulesen.

    von Lothar Krone