Orkanartiger Schlussapplaus für einen stürmischen Theaterabend in Michendorf
Es wurde ein stürmischer Theaterabend in Michendorf und eine Mut- und Treueprobe für Theaterfans. Ihr Kommen trotz Sturmwarnungen wurde belohnt – von einem sangesfreudigen Theaterdirektor, der im Stück „Die Sternstunde des Josef Bieder“ in die Rolle eines anderen Theaterunikums schlüpfte.
Mit ihrer neuen Inszenierung hat die Volksbühne Michendorf sich nicht nur an ein Ein-Mann-Stück gewagt, sondern auch die Theaterfans im Sturm erobert – im wörtlichen und sprichwörtlichem Sinne. Denn trotz aller Sturmwarnungen fand die Premiere von „Die Sternstunde des Josef Bieder“ wie angekündigt statt und wurde zur ultimativen Mut- und Treueprobe für alle Michendorfer Theaterfans, die trotzdem in die Volksbühne kamen.
Revue für einen Theaterrequisiteur
Die Neufassung dieses Stücks, bei der Autor Eberhard Streul, von einem langjährigen Darsteller des Josef Bieder, dem österreichischen Opernregisseur Otto Schenk, unterstützt worden war, hatten die beiden augenzwinkernd „Revue für einen Theaterrequisiteur“ getauft. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann sich auch die Volksbühne dieses Monologs eines hingebungsvollen Theater-Requisiteurs annehmen würde.
Vom Regiestuhl auf die Bühne
Nicht ganz unerwartet spielt in der Michendorfer Inszenierung einer der beiden Volksbühnen-Direktoren, der Regisseur Christian A. Schnell, das Theaterunikum Josef Bieder. Der normalerweise auf dem Regiestuhl sitzende Schnell tauschte seinen Job mit dem diesmal Regie führenden Schauspieler Hartmut Kühn und es sollte sich schnell erweisen, dass sich dieser Rollentausch als ausgesprochen geglücktes Manöver herausstellte..
Die Sangeskunst des Theaterdirektors
Dass Schnell ein beachtliches schauspielerisches Talent besitzt, war Insidern bekannt. Zudem schien Schnell für die Rolle des Josef Bieder wegen seiner ausgeprägten Musikalität geradezu prädestiniert und so durfte man sogar auf Kostproben seiner Sangeskunst hoffen.
Das Stück begann, als einige noch ihre Plätze einnahmen
Das Stück begann dann bereits während noch vereinzelt Besucher im Saal ihre Plätze einnahmen und Schnell im blauen Requisiteurkittel wie gedankenverloren durch den Zuschauerraum in Richtung Bühne stapfte. Scheinbar überrascht von der Anwesenheit des Publikums ließ er sich deren Eintrittskarten zeigen und beharrte energisch darauf, dass es keine Vorstellung gäbe, weil leider Schließtag sei. Als er panisch telefonierend keinen der für diese Panne verantwortlichen Vorgesetzten erreichte, begann sein langer mitunter das Publikum regelrecht beschwörender Monolog über das Wesen der Theaterkunst.
Verwandlung in eine russische Primaballerina
Episode reihte sich an Episode und binnen kurzer Zeit zog Schnell die Zuhörer in seine Sicht der Welt auf und hinter der Bühne hinein. Die stärksten Wirkungen beim Publikum erzielte er dabei immer dann, wenn er parodierte. So begeisterte Schnell, als er ein schneeweißes Tüllröckchen überstreifte und sich in die russische Primaballerina Galina Ulanowa verwandelte. Dabei tanzte er erstaunlich biegsam und betont melodramatisch Tanzfiguren aus Tschaikowskys Ballett „Schwanensee“.
Nicht weniger komisch gestalteten sich seine mit viel Szenenapplaus bedachten Operngesangsproben, die gespickt waren mit wohlmeinenden Hinweisen auf darstellerische Fehlleistungen seiner Kollegen. Das letzte Theaterwunder aber vollbrachte an diesem Abend das Publikum, als es mit seinem orkanartigen Schlussapplaus die leergebliebenen Plätze vergessen ließ.
Von Lothar Krone