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Kritik zu Halpern und Johnson

    Halpern & Johnson – Volksbühne Michendorf

    Stellen Sie sich einen heimeligen Theatersaal vor, in dem ein wahrhaftiger Streit ausbricht. Nein: nicht im Publikum, doch auf der Bühne. Da sitzen zwei auf einer Bank und lassen die Fetzen fliegen, dass man gänzlich vergisst, dass ihre Worte einem Textbuch entspringen. Nichts wirkt einstudiert, sie reden mal mit- aber oft auch übereinander, gleichzeitig, erhitzt – wie in einem waschechten Streit. Kein einstudiertes jetzt-ich-dann-Du-Rezitieren. Einfach echt. Und obendrein echt gut.
     
    Beide Männer – der Witwer Joseph Halpern, gespielt von Gert Melzer ebenso wie Dennis Johnson, der langjährige Freund der nun verstorbenen Florence, verkörpert von Thorsten Reimann – spielen, als wären Sie tatsächlich auf diesem jüdischen Friedhof, der dank der Begegnung dieser beiden Alten so gar nichts Trauriges hat. Haben kann: denn der frische Wind ihrer temperamentvollen Auseinandersetzung fegt nicht nur das alte Laub fort, sondern räumt auch gleich mit festgefahrenen Vorstellungen auf.
    Und schon bald stellt man sich als Zuschauer die Frage: wie gut kenne ich meinen eigenen Partner? Kenne ich wirklich alle seine Seiten – denn: dass ein Mensch mehr als eine Facette hat, zeigt dieses Stück des Engländers Lionel Goldstein deutlich. Und wie weit lasse ich alle Facetten des anderen zu, lasse ihn in seiner Gänze zu? Will ich überhaupt von allen Facetten wissen? Hier ist es ein halbes Jahrhundert, von dem der Ehemann nichts wusste. Natürlich zunächst ein Schock, eine Enttäuschung, die Wut auslöst, Streit entfacht, Vorwürfe entfesselt – die letztlich aber doch dazu führt, auch das eigene Verhalten während dieser Zeit einmal genauer zu betrachten und die Verstorbene noch einmal mit anderen Augen zu sehen.
    Der alte Jude Halpern hätte für meinen persönlichen Geschmack gern sprachlich noch etwas jiddischer rüberkommen können, der pensionierte Buchprüfer Johnson dagegen könnte nicht authentischer in Anzug und Lebensgeschichte stecken.
    Und ein kleiner Insidertipp zum Schluss: Achten Sie auf die allerletzte Geste des Johnson, bevor das Licht ausgeht …
    Leider war der erwähnte heimelige Theatersaal nur mäßig gefüllt an diesem Abend. Die Theaterwelt ist noch dick vom Staub der Coronabeschränkungen bedeckt.
    Dieses sehenswerte 2-Personen-Stück ist es Wert, diesen Staub fortzufegen! Ich kann nur jedem empfehlen, noch schnell ein Ticket für die letzten Vorstellungen am bevorstehenden Osterwochenende zu kaufen:
    Samstag, 16. April – 19.30 Uhr
    Montag, 18. April – 17.00 Uhr

    Karin Bucholz – Facebook 11.04.2022